Es sind die kleinen Dinge, die die große Veränderung verhindern

In diesem Artikel versuche ich einen Hinweis zu geben, warum Veränderungsinitiativen in Unternehmen scheitern oder ins Stocken geraten. Der Artikel basiert auf eigenen Beobachtungen und Studien unterschiedlicher Literatur und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Wahrheit, sondern soll als Denkgrundlage dienen und Perspektiven anbieten, die vielleicht noch nicht in Betracht gezogen wurden.
Lesedauer: 2 min; Denkdauer: min. 30 min

In Unternehmen wird es zunehmend moderner, möglichst viele Menschen aus unterschiedlichen Hierarchieebenen und Abteilungen zusammenzubringen und an der Unternehmensveränderung aktiv mitwirken zu lassen. Dazu werden Mitarbeitende vom „Auftraggeber“ der Veränderung eingeladen, freiwillig am System zu arbeiten. Die initiierte „Projektgruppe“ bekommt den Auftrag, selbstorganisiert und ohne formale Führung die strukturelle und/oder kulturelle Veränderung des Unternehmens zu verantworten. Leider versanden diese per se gut gemeinten Initiativen aus folgendem Grund: In einer Kultur der Verfügbarkeit ist kaum Raum, um am System zu arbeiten.

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Wie denn auch! Wenn Menschen in Unternehmen 250 Emails pro Tag bekommen und 5-8 (virtuelle) Show-Meetings besuchen, ist es doch nur nachvollziehbar, das keine Zeit ist, um die Entwicklung des Unternehmens voranzubringen. Denn dafür braucht es Zeit und Ruhe. Zeit, die man gefühlt nicht hat und Ruhe, die bei der ganzen Hektik nie zustande kommt. Dabei ist es genau die Ruhe, die es braucht, um in die Tiefe eines komplexen Sachverhaltes einzutauchen. Um Gedanken kreisen und Lösungen entstehen zu lassen. Erst dann ist man in einem Zustand emergenten Arbeitens. Es geht dann darum intensiv zu denken und umsichtig zu handeln; im und am System. 

Geschäftigkeit als Stellvertreter der Produktivität

Informationen maximieren die Geschäftigkeit: so viele Daten, so wenige Entscheidungen. Alle sind in Eile. Und nichts bewegt sich. Im Mittelpunkt steht die unablässige Kommunikation; per Email, Telefon und in Meetings. Mitarbeitende sind Mensch gewordene Netzwerkrouter, die Informationen von A nach B schieben.
So geht es in den Organisationen meist nicht darum, sich auf eine Problemlösung zu konzentrieren, sondern fleißig beschäftigt zu wirken und diese so zu legitimieren. Viel reden, wenig sagen und noch weniger tun. Meetings folgen ebenfalls zunehmend diesem Muster. Man redet über Probleme, man löst sie nicht. Es geht mehr darum sichtbar zu sein und den Status zu bewahren.

Zu Taylor’s Zeiten war Produktivität etwas Eindeutiges: erzeugte Artikel pro Zeiteinheit. In seinem Buch „Konzentriert Arbeiten“ beschreibt Cal Newport das Phänomen, das Wissensarbeiter in der heutigen Unternehmenslandschaft aufgrund der Abwesenheit klarer Merkmale dafür, was es bedeutet, in ihrem Beruf produktiv und wertvoll zu sein, zu einem Verhalten zurückgreifen: auf sichtbare Weise beschäftigt wirken.

Und das macht Sinn! Denn Unternehmen haben diese Art von oberflächlicher Arbeit durch Strukturen und Steuerungsmechanismen legitimiert: Großraumbüros, Instant Messaging, Email-Kommunikation, Arbeitszeiterfassung, Checklisten, Besuchsberichte und Show-Meetings. Viele dieser Konventionen behindern aktiv die Fähigkeit zur Konzentration.

Person oder Kontext verändern?

Wenn Menschen zu jeder Tages- und Nachtzeit Emails verschicken und beantworten, wenn sie ständig Meetings planen und aufsuchen, wenn sie innerhalb von Sekunden auf Chat-Nachrichten reagieren, sobald jemand einen Frage stellt, oder wenn sie durch das (Großraum-)Büro wandern und sich von jedem, dem man begegnet ansprechen lassen, dann arbeiten sie in einer Unternehmenskultur der Verfügbarkeit. Dann leidet die Organisation unter dem Glaubenssatz, dass es von zentralem Nutzen ist, permanent erreichbar zu sein. Dann glaubt die Organisation und dann glauben die Menschen, dass sie ihre Arbeit gut machen und sie keine Zeit haben, konzentriert und fokussiert am System zu arbeiten.

Und wenn in einem Unternehmen etwas schlecht läuft, wird sofort auf die Personen geschaut. Doch das symptomatische Verhalten einer Person beruft sich häufig auf den ursächlichen Kontext. Ein einfaches Beispiel: Der Appell an eine nützliche Vor- und Nachbereitung bleibt ungehört, wenn im Kalender ein Meeting auf das nächste folgt. Auch Pünktlichkeit ist dann nicht immer eine Tugend. Oder wenn Führungskräfte unmittelbar auf Emails antworten und das auch noch außerhalb der Arbeitszeiten, braucht es nicht zu wundern, dass es Mitarbeitende der Person gleichtun. Solange die sichtbare Beschäftigung die echte Arbeit an den Problemursachen aussticht, bleibt alles beim Alten.

Menschen passen ihr Verhalten an das System an, in dem sie Entscheidungen treffen müssen. Ihre Verhaltensweise ist also immer Spiegelbild des Systems und zum viel kleineren Teil Spiegelbild ihrer Persönlichkeit.

Deshalb ist das System auch der größere Hebel. Menschen in der Organisation bedienen ständig diese sogenannten Strukturelemente. Das sind Praktiken und Regeln, also Entscheidungsprämissen, die etabliert worden, um Probleme zu lösen. 

Welchen Nutzen hat es permanent erreichbar zu sein?

Bevor sich Unternehmen auf die Veränderungsreise begeben, sollten sie prüfen, nach welchen Grundannahmen und Spielregeln sie heute ihr Business betreiben. Lässt das System überhaupt eine konzentrierte, ablenkungsfreie Arbeit am System zu? Oder sollen Mitarbeitende zusätzlich zu den ganzen internen Beschäftigungsmaßnahmen auch noch Arbeit am Unternehmen leisten? Aber wie sollen dann die Mitarbeitenden Zeit haben, um in den Veränderungs-Projekten mitzuarbeiten?

Beobachte doch mal dein eigenes und das Verhalten der Menschen in deiner Organisation und stelle dir folgende Fragen: Welchen Nutzen hat es, permanent erreichbar zu sein? Welche Strukturen und Praktiken provozieren die Geschäftigkeit?

Sollte die Geschäftigkeit in deinem Unternehmen omnipräsent sein, dann ist es wichtig, sich alternative Veränderungsstrukturen jenseits von zweckrationalen Projektstrukturen zu überlegen und im ersten Schritt der Geschäftigkeit entgegenzuwirken. Sonst provoziert man das Immunsystem der Organisation und bekommt die beliebte Anti-Veränderungs-Anwort: „Dafür habe ich keine Zeit!“


Keinen Bock mehr auf das Gehetzte und den Lärm um nichts? Lass uns sprechen und ich gebe dir nützliche Impulse, um der Kultur der Verfügbarkeit die Stirn zu bieten.

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